St. Nicolaiheim e.V. - Gewaltschutz
6 7 • Massive Gewaltanwendung/ Missbrauch Schwere physische oder psychische Schädigung einer Person, die einen zwingend notwendigen Einsatz von ex- ternen Personen (Arzt, psychiatrischer Notdienst, Polizei) erforderlich macht. Die Ablaufschemata bei Gewalt treten in Kraft und psychische Ersthilfe wird angeboten. Beispiele: gefährliche oder schwere Kör- perverletzung, psychische Körperver- letzung (Stalking), Gewaltanwendung gegenüber Schutzbefohlenen, sexuelle Misshandlung, bewaffneter Raub und Erpressung, Straftaten gegen das Leben Die Kategorisierung und die daraus re- sultierenden Interventionsmaßnahmen sollten nach Möglichkeit im Mehraugen- prinzip vorgenommen werden. Wichtig zu betonen ist, dass Gewalt, die von Mitar- beitenden ausgeübt wird, grundsätzlich in ihren Konsequenzen anders zu bewerten ist, als Gewalt, die von leistungsberech- tigten Personen ausgeübt wird, auch wenn Gewalt zum Fremd- oder Eigenschutz not- wendiger Teil der pädagogischen Praxis sein kann. Weshalb ein Mensch gewalttätig wird, ein anderer dagegen nicht, lässt sich nicht monokausal erklären. Gewalt ist ein kom- plexes Phänomen, das in der Wechsel- wirkung zahlreicher individueller, sozialer, gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren wurzelt (WHO:2003). Einige Risikofaktoren mögen sich konkret einer bestimmten Form von Gewalt zuordnen lassen, häufiger kumulieren in den un- terschiedlichen Erscheinungsformen der Gewalt jedoch mehrere Risikofaktoren ge- meinsam. In diesem Konzept wird davon ausgegangen, dass Gewalt in den meisten Fällen eine Folge von Frustration ist. Demnach entsteht Frustration, sobald eine Person ihr selbst gewähltes Ziel nicht er- reichen kann. Die Folge stellt dabei nicht sogleich Aggression oder Gewalt dar, viel- mehr geht es um den Umgang des Indivi- duums und dem Umfeld mit entstandener Frustration. Dabei kann die individuelle Biografie eine erhebliche Rolle spielen, denn For- men von sozialem Lernen ermöglichen es, sich bereits durch einfache Beobachtung Verhaltensmuster anzueignen. Werden insbesondere in der Kindheit ge- waltsame Handlungen beobachtet oder selbst erfahren, ist die Wahrscheinlich- keit hoch, dass dies in einem analogen Setting nachgeahmt wird. Das soziale Lernen kann somit von maßgeblicher Bedeutung in der pädagogischen Arbeit mit potenziell gewaltbereiten Personen in der Nuancierung der Verhaltensmuster sein. Ebenso steht der soziale Kontext der Situation, in der Gewalt angewendet wurde, im Mittelpunkt. Hier sind zudem mögliche Machtgefälle zwischen den Be- teiligten oder Kontrollverhalten der Be- zugspersonen zu berücksichtigen. Unter den gemeinschaftlichen Faktoren sind beispielsweise die Unterstützungssysteme der betroffenen Personen zu verstehen und die Haltung derjenigen zum Thema Gewalt. Letztendlich spielen aber auch gesellschaftliche Faktoren eine Rolle bei der Entstehung von Gewaltbereitschaft. Hierbei sind stereotype Rollenbilder oder die Banalisierung von Gewalt beispiels- weise in den Medien zu nennen. Weiter wird angenommen, dass Gewalt- ausübende ihre angeeigneten Verhal- tensmuster wiederholt anwenden, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, dass diese sie in der subjektiven Zielerreichung und/oder der Bewältigung einer für sie herausfordernden Situation unterstützen. Aus dem Zusammenspiel der oben ge- nannten Faktoren entsteht die individu- elle Verhaltensweise für den Umgang mit Frustration. Die Klärung der genannten Faktoren in der Analyse eines Gewaltvor- kommnisses ermöglicht es den Fachkräf- ten in der Reflexion und Nachsorge, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausprägung weiterer gewaltsamer Handlungen nach Möglichkeit zu minimie- ren. Gleichsam zeigt die äußerst wichtige Auseinandersetzung, insbesondere mit so- zialen und gemeinschaftlichen Faktoren, die Möglichkeit auf, die Ausprägung gewaltfördernder Kontexte möglichst zu minimieren. Entstehung von Gewalt 3.
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