St. Nicolaiheim Sundsacker e.V. - Trauerkonzeption

10 11 1.3 _ Gedanken und Gefühle betroffe- ner Menschen Sich mit seinem Tod auseinandersetzen und das Leben loslassen zu müssen, ist sicher eine der schwersten Aufgaben im Leben eines Menschen. Beim Abschiednehmen von Menschen und Dingen ist es vielen eine Hilfe, mit anderen reden zu können – nicht unbedingt über den erwarteten Tod, vielleicht aber über das bisher gelebte Leben. Wenn die Wort-Sprache als Verständi- gungsmittel nicht mehr zur Verfügung steht, suchen Menschen, die ahnen oder wissen, dass sie bald sterben, vielleicht in besonderem Maße Nähe und Aufmerk- samkeit, um so nicht allein zu bleiben mit ihren Fragen, Ängsten und Gefühlen. Aber nicht nur der sterbende Mensch steht vor der großen Aufgabe, loslassen zu müssen, auch wir als Mitarbeitende stehen davor. Der zu erwartende Tod eines Men- schen, den wir vielleicht über viele Jahre kennengelernt und dem wir mit unserer Kompetenz bei der Verwirklichung seiner Lebensziele und -inhalte assistiert haben, bringt uns an die Grenzen der eigenen Bemühungen. Möglicherweise erfahren wir sein Sterben als eine Kränkung, als ein Scheitern der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Wir sollten aber nicht vergessen: Aller persönlicher Einsatz kann diesen Menschen nicht im Leben halten, wenn die Zeit zu sterben für ihn gekommen ist. Es kann einen sterbenden Menschen be- drücken, vertraute und ihm nahestehen- de Personen zurücklassen zu müssen und zu spüren, wie viel Trauer er durch sein Weggehen auslöst. Noch schmerzhafter allerdings wird eine sterbende Person den Abschied erleben, wenn sie spürt, selber nicht losgelassen zu werden, wenn Ange- hörige oder wir als Helfende sie unbedingt im Leben halten wollen. »Warum? Und warum ich?«, so fragt nicht nur eine sterbende Person. »Warum gerade dieser Mensch?«, so fragt man sich selbst. Und miteinander haben wir auszuhalten, dass eine befriedigende Antwort darauf nicht gegeben werden kann. Die zuneh- mende Hinfälligkeit konfrontiert den ster- benden Menschen mit seiner Hilflosigkeit, mit seiner Abhängigkeit von der Hilfe an- derer, mit der Notwendigkeit, so viel an- nehmen zu müssen, ohne scheinbar etwas zurückgeben zu können. Das erschüttert bei vielen das Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich nutzlos und als Belastung. Wir bringen oft die Vorstellung mit, an einem Sterbebett etwas tun zu müssen. Das Leben, in dem wir stehen, aus dem heraus wir zu der oder dem Sterbenden kommen, ist mit viel Aktivität gefüllt. Es ist gut, wenn wir dies hinter uns lassen und nur im Moment leben können. Nichts muss in diesen Momenten von dem ster- benden Menschen und der Sterbebeglei- tung geleistet werden. Ein sterbender Mensch durchlebt gefühls- mäßig Höhen und Tiefen, Hoffnung und Verzweiflung, Protest gegen den Tod und vielleicht auch eine Einwilligung in seinen Tod. Ihm dabei zuverlässig nahe zu blei- ben, verlangt viel Verständnis und Geduld. Wenn die oder der Sterbende es wünscht, können Sie dabei helfen, Abschiedsbesuche zu machen oder zu empfangen, Ruhe zu finden, ohne isoliert zu sein, ihren oder seinen Vorstellungen entsprechend das persönliche Eigentum aufzuteilen, letzte, vielleicht unausgesprochene Wünsche er- füllt zu bekommen (Musik, Fernsehsen- dungen, Lieblingsessen, Getränke, Düfte, Berührungen, usw.). »Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft.« (Psalm 138, 3)

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